Vom 10.-14.5.2017 war ich in Berlin auf dem TV Series Festival um an dem einmaligen Genre Seminar von Robert McKee teilzunehmen. Robert McKee ist DER Drehbuch-Guru Hollywoods, ihr kennt vielleicht sein Buch „Story“ oder habt von seinem gleichnamigen Drehbuch-Seminar gehört, dass er seit über 20 Jahren in LA abhält. Jeder erfolgreiche Drehbuchautor hat seinen Kurs genommen und sein Buch ist vollgepackt mit Storytellingtipps- und tricks. Ich habe immer schon einmal davon geträumt, eines seiner Seminare zu besuchen, sein Buch hat mir viel geholfen, und jetzt ergab sich die Gelegenheit. Normalerweise muss man nach LA, wenn man das „Story“-Seminar belegen will, aber da Robert McKee gerade in Europa unterwegs ist, um sein neues Buch „Dialogue“ (ebenfalls sehr zu empfehlen) vorzustellen, wurde er nach Berlin zum TV Series Day eingeladen, um ein 4-Tages-Seminar zum Thema „Genre“ und „TV Series - Writing for long form televison“ zu geben. Berlin?, dachten wir. Das ist ja nicht so weit!
Also Koffer gepackt und auf nach Berlin!
Dort haben wir (meine bessere Hälfte und ich) dann Robert McKee zur Signierstunde getroffen und nun bin ich stolze Besitzerin eines signierten Exemplares von "Dialogue". Und eines Fanfotos. (Er hat meinen Namen falsch geschrieben, aber er ist schon alt, verzeihen wir ihm. Außerdem schrieb er mir noch "Write the truth", keine Ahnung was das soll. Als ob ich jemals lügen würde ... :)
Das Seminar wurde in dieser Form erstmalig abgehalten und bestand aus vier Modulen in 4 Tagen, die man einzeln buchen konnte. Ich hab aber meine Taschen umgekrempelt und gleich alle vier gebucht — wenn schon, denn schon, man will ja nix verpassen.
Die vier Tage waren:
Tag 1 Donnerstag: Thriller- & Crime Day (mit Screening und Analyse des Filmes “7”)
Tag 2 Freitag: Comedy-Day (mit Screening und Analyse des Filmes “Ein Fisch namens Wanda“)
Tag 3 Samstag: Love-Story-Day (mit Screening und Analyse des Filmes „Die Brücken am Fluss“)
Tag 4 Sonntag: TV Series Day (mit Screening und Analyse einer Episode der Serie „Breaking Bad“)
„Genre“ ist ein wichtiges Element beim Schreiben, denn jedes der drei Hauptgenres (Krimi/Thriller, Comedy oder Liebesgeschichte) erfordert seine eigenen Elemente und folgt seinen eigenen Gesetzen, welche beim Leser/Zuschauer eine Erwartungshaltung hervorruft (Du willst schließlich etwas anderes, wenn du einen Liebesroman liest als bei einem unheimlichen Thriller; entweder willst du dich mal wieder richtig schön gruseln oder romantisch träumen. Jedenfalls bist du ganz schön enttäuscht, wenn du einen Thriller erwartest und nur Liebesgesäusel bekommst.)
Und Comedy zu schreiben ist nochmal eine ganz eigene Kunst für sich.
Ich habe mich also riesig auf dieses Seminar gefreut, war schon Tage vorher total hibbelig und hab mich nochmal durch das Story-Buch gelesen. Nun bin ich glücklich und erschöpft wieder zuhause an meinem Schreibtisch, mit einem Stapel neuer Erkenntnisse — und mindestens einem Level up für mein Autoren-Ich !
Hier ein kleiner Erfahrungsbericht, was ich in den vier Tagen gelernt habe:
Der Thriller/Crime - Day
Am ersten Tag, Donnerstag, nachdem wir am Vortag angereist waren und der Wecker ziemlich früg geklingelt hat, damit wir auch den Seminarraum finden, ging es gleich los mit dem Thriller &Crime Day:
Zunächst einmal wurde der Unterschied zwischen Krimi und Thriller erläutert, dann die modernen Subgenres (Murder Mystery, Caper/Heist, Detective, Courtroom-Drama, Political/Espionage, Noir, Police Procedural und Psychological Thriller) bevor wir uns dem Hauptthema des Tages, dem Psychothriller widmeten. (Mein Lieblingsgenre :) )
Da ich selber gerne Thriller schreibe und lese, habe ich mich bereits viel mit diesem Genre beschäftigt, weswegen es an diesem Tag nicht so viel Neues für mich gab. Aber ein paar Augenöffner waren dabei. Im Groben wurde natürlich gesagt, dass man im Thriller zunächst das perfekte Verbrechen planen muss (um es dann aufzulösen) und dass der Antagonist die wichtigste Figur in der Planung ist; wichtiger als die Hauptfigur. Dann wurde darüber gesprochen, wie man Hinweise und Spuren legt und wie man die Leser/Zuschauer aufs Eis führt. Großer Spaß!
Der Abschluss des Tages war ein Live-Screening des Thrillers „7“ mit Brad Pitt und Morgan Freeman, bei dem wir Szene für Szene durchgegangen sind, und erörtert haben, was in dieser Szene geschieht, wie sie aufgebaut ist und warum sie so aufgebaut ist. Seit meinem Studium habe ich so etwas nicht mehr gemacht und für mich war das großer Spaß, zusammen mit so vielen Profis aus der Branche in den bequemen Sesseln eines Kinosaals nur für uns zu sitzen, während niemand geringeres als Mr Robert McKee den Film für uns stoppt, um zu erläutern, dass „7“ ein „closed mystery“ in 4 Akten ohne „multiple suspects“ ist, und dass das Ende für die Produzenten zu schockierend war und sie verlangt haben, ein anderes, versöhnliches Ende zu drehen (was die ganze Geschichte kaputt gemacht hätte), so dass Brad Pitt und Morgan Freeman sich für das ursprüngliche Ende eingesetzt haben, indem sie sich schlicht weigerten, ein neues Ende zu drehen. Außerdem wurde Kevin Spacey nicht im Vorspann genannt, damit nicht verraten wurde, wer der Mörder ist.
Großer Spaß.
Das könnte ich jeden Tag machen, man schenke mir einen Kinosaal !
Der Comedy - Day
Am nächsten Tag, Freitag, gab es dann Lektionen zum Genre Comedy.
Nun ist „Comedy“, also die Komödie, kein Genre an sich, denn es kann mit jedem beliebigen anderen Genre gemischt werden, also Liebeskomödie, Krimi-Komödie, Fantasy-Komödie ect. Aber es gibt auch die Komödie um der Komödie willen und diese unterscheidet sich wiederum in ihrer Tonart von „High Comedy“, „Low Comedy“, „Parody“, „Satire“ oder „Farce“.
Robert McKee nennt das Genre Comedy „the angry art“, was zunächst verwunderlich klingt, denn bei Comedy denkt man ja an Spaß. Aber er hat recht, wenn er sagt, dass Comedians ihre Inspiration aus Wut gegenüber Ungerechtigkeiten und Absurditäten im Leben nehmen, dass Satiren und Parodien etwas durch den Kakao ziehen, um auf Missstände hinzuweisen und der Gesellschaft den Spiegel vorzuhalten. Komödien entstammen einer alten Tradition, in der nur der Hofnarr den König kritisieren und ungestraft die Wahrheit sagen durfte. Politische Satiren übernehmen noch immer dieselbe Funktion. Deshalb finde ich diese Bezeichnung echt gut: "Comedy is the angry art."
Weiter ging es mit einigen praktischen Tipps zum Aufbau und Funktion von Witzen, speziellen Techniken, sowohl sprachliche als auch filmtechnische, die ich hier nicht genauer ausführen kann, und zur Frage, wie man die Hauptfigur einer Komödie gestaltet.
Das besondere an der Hauptfigur für eine Komödie ist nämlich, dass diese eine „blinde Obsession“ haben muss, ein Ziel, dass der Protagonist verfolgt, nur dass dann im Laufe der Handlung dieses Ziel entweder in immer weitere Ferne rückt, mit jedem Versuch es zu erreichen, oder dass die Hauptfigur durch Zufall in Besitz von etwas gerät, dass sie versucht, um jeden Preis loszuwerden, nur um dann festzustellen, dass dieses der Schlüssel zum Glück gewesen wäre.
Ziemlich fies.
Am Abend haben wir dann „Ein Fisch namens Wanda“ zusammen gesehen und analysiert. Der Film gehört jetzt nicht gerade zu meinen Lieblingskomödien, aber es ist schon sehr lustig, wie die Figuren sich ständig belügen, gegenseitig hereinlegen, die Rollen tauschen und versuchen sich gegenseitig auszutricksen, um an die Diamanten zu kommen. Ein sehr schönes Beispiel dafür, wie man in Komödien das Figurenpersonal gegeneinander aufstellen sollte, um möglichst viele Gelegenheiten für Konflikte zu haben.
Love-Story-Day
Samstag dann trafen wir uns zum Love-Story-Day.
Lustigerweise fand parallel in dem Kino die Filmpremiere des neuen Films „Hanni & Nanni“ statt, wofür ein rosafarbener Teppich ausgelegt wurde, über den wir dann zu unserem Seminar-Kinosaal schreiten durften und auf dem Weg dahin von Security-Personal nach unseren Tickets gefragt wurden. Für Fotos oder Auflauern von Prominenten blieb aber leider keine Zeit, es ging sofort los mit den Genre-Konventionen des Liebesfilms.
Was wir als romantisch empfinden hat sich im Laufe der Jahrhunderte gewandelt, ebenso die Rollen von Mann und Frau. Dennoch sind Geschichten über zwei Menschen, die sich ineinander verlieben, immer hoch im Kurs, und der Liebesfilm (und der Liebesroman) eines der umsatzstärksten Genres der Welt. Auch wenn man nicht reine Liebesgeschichten schreibt, so enthalten doch viele anderen Genres ebenfalls eine Liebesgeschichte als Subplot, so dass es sich lohnt, einmal einen Blick darauf zu werfen, wie man diese gestalten kann und wie diese funktionieren.
Für mich ergaben sich hier an diesem Tag die meisten neuen Erkenntnisse, nicht nur, weil ich mich mit diesem Genre bisher am wenigsten beschäftigt habe, sondern auch, weil Mr McKee viele interessante psychologische und metaphysische Hintergründe nannte, warum und wie wir auf Liebesgeschichten reagieren. Dabei ist es egal, ob man eine romantische Komödie (romantic Comedy), ein Liebesdrama (romantic drama) oder eine Liebestragödie (romantic tragedy) schreibt: es gibt Konventionen, die in jeder Geschichte drin sind und die man deshalb kennen sollte, so z.B. dass es immer eine wichtige Szene gibt, in der die Liebenden sich gegenseitig ihre Liebe erklären. Diese Szene kann, muss aber nicht, am Ende der Geschichte als Höhepunkt erfolgen, sie kann aber auch viel früher in der Geschichte geschehen, so dass im weiteren die Liebenden immer weiter voneinander getrennt werden. Das „Want & Need“ der Hauptfiguren steht ihnen hierbei im Weg oder es gibt einen außerhalb liegenden Grund, warum sie nicht Zusammensein können; in jedem Fall ist es wichtig, dieses Hindernis für die Liebe festzulegen (z.B. ist einer von ihnen oder gar beide bereits verheiratet.)
Als Beispiel haben wir am Abend dann „Die Brücken am Fluss“ mit Clint Eastwood und Meryl Streep geschaut, beide nennt Robert McKee seiner Meinung nach als größte Schauspieler unserer Zeit, und hat berichtet, wie Clint Eastwood unbedingt Meryl Streep als Partnerin in dem Film haben wollte, aber der Regisseur hatte eine andere Schauspielerin für die Rolle im Sinn, woraufhin das Studio den Regisseur feuerte und Clint Eastwood die Hauptrolle und den Posten als Regisseur bekam.
Der Film zählt ebenfalls nicht zu meinen Lieblingsfilmen, aber so wie wir ihn auseinander genommen und analysiert haben, habe ich ihn zu schätzen gelernt. Es steckt sehr viel durchdachte Schreibarbeit darin (das Drehbuch basiert auf einem Roman und für die Filmhandlung wurde eine Rahmenhandlung und neue Figuren hinzugefügt.)
Ich habe mich auf den „Love-Story-Day“ am wenigsten gefreut, aber am meisten gelernt.
TVSeries Day - Writing for long-form Series
Sonntag dann war der letzte Tag der Seminarreihe und es ging nicht länger um Genres, sondern um „Writing for long-form TV“.
TV-Serien nehmen heutzutage viele Stunden Unterhaltung ein, und erfordern, dass Autoren (oder ein Team von Autoren) über einen langen Zeitraum (manchmal Jahre) Figuren und Storylines zu einem befriedigenden Ende führen. Keine leichte Aufgabe, die einen vor Herausforderungen stellt, wie kein anderes Medium. Selbst Romane, auch wenn sie mehrere hundert Seiten lang sind, enthalten nicht so eine Komplexität und Vielschichtigkeit, wie manche TV-Serien - und davon gibt es Dank Pay-TV-Sendern wie Netflix und Co immer mehr und qualitativ immer bessere. Robert McKee rät angehenden Drehbuchautoren nicht mehr fürs Kino zu schreiben, sondern fürs Fernsehen, denn das (amerikanische) Kino ist starr und konventionell geworden, während die TV-Sender experimentieren und Neues wagen. Und ich stimme zu! Schon lange habe ich nichts mehr im Kino gesehen, dass mich vom Hocker haut, aber es gibt Serien, die einen regelrecht begeistern – oder schockieren. Außerdem machen sie süchtig, so dass man nicht länger bis nächste Woche warten will, wenn die neue Folge von TWIN PEAKS endlich herauskommt, sondern auf DVD oder online gleich alle Folgen hintereinander guckt. Aber wie bekommen die Autoren das hin, dass man Folge für Folge und Season für Season (manchmal jahrelang) zu einer Serie zurückkehrt?
Genau darum ging es in diesem Seminar.
Zunächst einmal wurden die verschiedenen Arten von Serien erläutert (geschlossene Episoden gegen offene Episoden; Mini-Series gegen geschlossene Seasons gegen Long-Form Series), dann ging es um verschiedene Arten von Spannungselementen (Cliffhanger, Hooks, Suspense und dramatic irony) und zuletzt um das Charakter-Design der Hauptfigur. Hier ging es um die Wurst, denn um eine Hauptfigur für eine Serie zu erschaffen, muss diese mehrdimensional sein, so dass sie die Handlung über hunderte Episoden und mehrere Seasons tragen kann. Dabei reicht es nicht, einen dreidimensionalen Charakter zu haben (wie in den meisten Geschichten), sondern man braucht einen Charakter mit 8 oder 10 oder mehr Dimensionen. Als Beispiel gab er Walter White aus „Breaking Bad“ an, einen Charakter mit 12 Dimensionen (!), genau wie Toni Soprano aus „Sopranos“ - einen Seriencharakter, der all seine Dimensionen zum Ende der Geschichte „ausgeleert“ hat.
Um uns die Komplexität einer Serie zu verdeutlichen, haben wir „Breaking Bad“ auseinandergenommen und analysiert, eine Serie mit 62 Episoden über 5 Seasons, in der 26 Storylines in 45 Akten erzählt wird, bzw. die 4 Hauptstorylines zusammengezählt in 91 Akten.
Ein Roman hat in der Regel 3-4 Akte. Nur mal so.
Ich habe großen Respekt vor den Autoren.
Der TV-Series Day und die Arbeit an „Breaking Bad“ hat mir am meisten Spaß gemacht, auch wenn ich keine Drehbuchautorin bin und keine TV-Serien schreibe. Ich fand das alles trotzdem furchtbar spannend und total hilfreich. Ein paar der Tricks lassen sich mit Sicherheit auch auf meine Arbeit übertragen. ;)
Am Ende der vier Tage war ich zwar auch ganz schön platt und konnte nicht mehr stillsitzen, aber ich hätte trotzdem gerne weitergemacht, so ein ausführliches Seminar über Storytelling und das Gespräch mit anderen, enthusiastischen Autoren ist genau mein Ding und könnte ich jeden Tag machen (vielleicht sollte ich auch einfach zurück an die Uni).
Ich bin noch immer ganz erfüllt von all dem Neugelernten, habe viele neue Ideen, ein ganzes Notizbuch voll, und brenne darauf, all das in meinen Werken umzusetzen.
Zurück an den Schreibtisch.
Aber vorher gönnten wir uns zum Abschluß noch einen echten Berliner Weiße mit Schuß, weil nur Berliner so verrückt sind, Waldmeistersirup ins Bier zu schütten. Mmmh, quietschegrün und lecker.
Prost, und Tschüß Berlin!
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